Über Kaugummi und Intransparenz in der Architektur

„Zeit dehnt sich wie Kaugummi“, sagte eine Mentorin einmal zu mir. In der Abwicklung von Architekturprojekten komprimiert sich Zeit jedoch eher wie Weichfaserdämmung unter hohem Druck.

Auf die Frage, was sie als erstes in ihrem Arbeitsumfeld ändern würden, wenn sie einen Wunsch frei hätten, schrieben mir einige Architekt:innen kürzlich „Zeitdruck“ und „Intransparenz“. Gibt es da vielleicht sogar einen Zusammenhang? Eine Annäherung:

Woher kommt der stetig vorhandene Zeitdruck bei Architekt:innen? Wenn ich nun wieder mit dem Narrativ des immer unter Strom stehenden Architekten antworte, werde ich der Realität nicht gerecht. Selbstverständlich gilt in der Baubranche Stress und Druck als Maßstab für Erfolg. Gleichzeitig ist immer viel zu tun, und die Wochen vergehen wie im Flug; hinter jeder Ecke wartet eine Abgabe.

In der systemtheoretischen Betrachtung von Organisationen wird davon ausgegangen, dass auf Unternehmen sogenannte Subsysteme einwirken. Menschen sind Umwelt dieser Subsysteme, und die Kommunikation im Unternehmen ordnet sich diesen unter. In einem Architekturbüro gelten oft folgende Subsysteme, deren Leitunterscheidungen, sogenannte Codes, die Kommunikation beeinflussen:

- Architektur (Kunst): ästhetisch / unästhetisch, beste ansprechendste Lösung / noch nicht ansprechende Lösung.

- Wirtschaft: Geld / kein Geld, messbare Zahlen / nicht messbar.

- Entwicklung: Stillstand (Wiederholung) / Innovation.

Nimmt man nun an, dass jegliche Arbeit eines/einer Architekt:in durch den Code der Architektur „noch nicht beste, ansprechendste Lösung“ bewertet wird, dann erschließt sich relativ schnell, dass Arbeit nicht enden kann. Gestaltung und auch technische Lösungen können immer noch verbessert werden. Die Zeit bis zur Abgabe dehnt sich also doch wie Kaugummi – es gibt immer noch etwas zu tun.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie wir architekturpolitisch in Zeiten des Wandels Einfluss auf Projektzeiträume nehmen können. Wie entstehen Terminpläne unter dem Einfluss und den Wünschen der Auftraggebenden gerecht zu werden? Vielleicht sogar im Voraus eilenden Gehorsam, um den Terminplan noch um ein paar Monate zu beschleunigen. Um später dann in der Projektbearbeitung von den Planer:innen unter Ächzen umgesetzt zu werden.

Da kommt nun also die „Intransparenz“ ins Spiel. Als Kernaufgabe oder begleitendes Rauschen der Architekturprojekte steht die Kommunikation mit den Auftraggebenden (AG). Die Architektur als Gesamtkoordinator wird zur psychologischen Disziplin, denn die Hauptaufgabe besteht darin, nicht nur zuzuhören, sondern durch Aufklären und Fragen zu stellen, den AG samt Bauherrnvertretung, Projektsteuerung und Co. dazu zu bringen, möglichst konkrete Aussagen zu treffen. Durch verbale Führung dazu zu leiten, Festlegungen und Vorgaben zu definieren, derer sich der AG selbst noch nicht bewusst war. Und damit auch in der Terminplanung so zu leiten, dass die Zeit wirtschaftlich auskömmlich und das Projekt noch mit ruhigen Atemzügen umsetzbar ist. Die Führungsaufgabe dient also der Transparenz; Unklarheit und missverstandene Dienstleistungsgedanken führen zu Intransparenz und Zeitdruck.

Wird nicht oft das Setzen von Grenzen und klare Kommunikation als unhöflich verstanden? Sicher unangenehm, vor allem dann, wenn man es nicht gewohnt ist. Doch ein Verständnis über vertraglich geschuldete und nicht geschuldete Leistungen, gepaart mit einer gewinnend, freundlich bestimmten Klarheit gegenüber dem AG bezüglich besonderer, nicht geschuldeter Leistungen, hat schon oft Zeit entstehen lassen.

Denn da wo Zeit entsteht ist wieder Freiraum für Kreativität und Innovation, ja vielleicht sogar für Recherche und Fortbildung zu Soft Skills, Zirkularität und KI. Denn wenn man dadurch lernt, dass das Protokoll die KI schreibt und man vor Versand nur noch schnell drüber liest…

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Ich bin Sandra Cabrales, Architektin und systemische Coach. Während meiner gesamten Schullaufbahn hörte ich, dass ich über eine 4 in Deutsch froh sein sollte, das Schreiben lieber lassen und mich auf Kunst und Mathe konzentrieren sollte. Was meinst du?

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